nathan

Wahrnehmen und Fühlen, - eine Begegnung in der Gegenwart

 

 
Ich stehe vor einem weißgrauen Pferd, das sich nicht bewegt. Das ist der Grund meines Kommens. Die Besitzerin dieses Pferdes hat Unterstützung gesucht, da das Pferd in der Reitschule nicht mehr vorwärtszubekommen ist.  

Das Pferd ist sehr knochig und sieht armselig aus, wie es so steif und unbeteiligt dasteht; ein schwerfuttriger Araber.
Araber sind doch lauffreudig, denke ich. Aber dieses Pferd denkt nicht an Laufen.
 

Und ich soll es jetzt zum Gehen motivieren?! ...

 
 
Mir kommt in den Sinn, dass es früher nur geringe Möglichkeiten zur Auswahl gab: Ziehen, Hauen, Schieben, oder gleich alles miteinander. Alles eine Weile her. So war es mehrheitlich üblich, an das Pferd hinzuarbeiten, und ich wusste es nicht besser.
Wie sich das für das Pferd anfühlt, wie das Pferd sich überhaupt fühlt, dafür hatte ich zu der Zeit kein Bewußtsein.
 
Was mache ich aber nun hier?
 
In diesem Moment weiß ich noch nicht, dass mir dieses Pferd gleich den Horizont aufsperren wird, - daß die weitere Zusammenarbeit mit diesem Pferd einer der Schlüssel zu meiner weiteren Einsicht und Entwicklung wird.
Auch ist mir in diesem Moment noch nicht bewusst, daß diese Einsicht und Erkenntnis mein weiteres Leben mit den Pferden, deren Leben mit mir, und meine Möglichkeiten, anderen Pferden und Menschen weiterzuhelfen, wesentlich bestimmen wird.
Aber gleich…
 
 
Hauen, Ziehen, Schieben stehen sowieso außer Diskussion. Das Pferd steht da, - es ist ein Standbild aus erstarrtem Material.
Und plötzlich nehme ich wahr …

Aus dem Körper heraus blickt mich jemand an!
Da drinnen ist jemand...
 
 
Zu der Zeit habe ich schon lange mit Pferden zu tun. - Ich bin mit Pferden groß geworden und habe entsprechend viel Sinn und Unsinn mit ihnen gemacht und erlebt. Ich bin Turniere geritten, habe Pferde trainiert und Reiter unterrichtet.

Und jetzt, - erreicht mich ein Blick.
 
Es ist, als spräche das Pferd mit mir.
Das hat es wohl die ganze Zeit schon getan.
Und alle anderen Pferde wohl auch schon immer.
 
 
Zum ersten Mal wird mir richtig bewusst, dass ich Pferde wohl immer „behandelt“ habe. Aber nicht als echtes Gegenüber, nicht als Gesprächspartner. Ich habe sie weder wirklich „gesehen“, noch wirklich „gehört“. Daß ein Pferd eine Person, ein wahrnehmendes echtes Gegenüber ist, so intelligent und entscheidungsfähig wie jeder Mensch, das ging einfach an mir vorbei. Vielleicht an vielen anderen auch.
 
 
Ich gehe zu dem Pferd hin.
 
Ich berühre sein Fell. Der unmittelbare Kontakt ist hergestellt. Von meiner Hand zum Wesen in diesem Pferdekörper. Vom Pferde-Wesen in diesem Körper zu seinem Körper. Von seinem Körper zu mir selbst.

Ich fühle, wie sich das Pferd anfühlt. Ich bin in der Gegenwart. Dem Raum ohne Zeit. Wahrnehmen. Hinhorchen. Anwesenheit. Es ist wie ein Lauschen.

 
Noch ist es schwierig für mich, diesen Zustand aufrecht zu erhalten. Denn die Kommunikation findet statt mit ungesprochenen Worten.
 
Dem weißen Pferd zuhören. Obwohl das Pferd nicht spricht ...
Die stille Zwiesprache halten. Den Kontakt von Auge zu Auge, von Gefühl zu Gefühl.
Denn darum ging es: Um das Gefühl.
Das Gefühl der Verbindung.
 
 
Jetzt war die Türe geöffnet. - Das weiße Pferd war nun zu meinem Verbundenen, zu meinem Verbündeten, geworden. So konnten wir miteinander arbeiten. Die Empathie, - das Fühlen, was der andere fühlt -, hatte begonnen.
 
 
Fühlen ist Pferdeflüstern
 
Fühlen ist die gemeinsame Sprache aller Lebewesen. Fühlen ist die Sprache des Pferdes, ist „die Pferdesprache“. Pferdeflüstern ist Pferdefühlen.
 
Fühlen funktioniert nur in der Gegenwart. Hinhören auch. Schmecken und Riechen ebenfalls, und all das hilft uns, Gegenwart, Gegenwärtigkeit zu finden.
Nur die Gegenwart ist der Raum, in dem wir wirklich begegnen können. In dem wir in Verbindung sind, - im Dialog. Mit uns selbst. Mit dem Pferd. Mit allem. So einfach ist das.
 
 
Wie es weiter ging?
 
Das weiße Pferd hat tatsächlich schon bald wieder zu Beweglichkeit gefunden, zu Lauf- und wohl auch Lebensfreude.
Mit wahrnehmender Körperarbeit, um es wieder in seinem Körper wohlfühlen zu lassen. Und um seine feste Schultermuskulatur und seinen Hals wieder frei gelöst werden zu lassen.
Mit einer einfachen Psoas-Übung. Für die Stabilisierung und Verankerung der Hüftgelenke, und um die Hinterhand in Verbindung zu bringen.
Mit bewussten Beweglichkeitsübungen an der Hand, um seinen festen Rumpf zu lösen und ihm eine gelöste Bewegungsidee zu vermitteln.
 
Bald waren die körperlichen Voraussetzungen gegeben für die nun folgende Einladung zum empathischen Mitmachen beim Gehen, Traben, bald auch Galoppieren. Erst vom Boden aus, dann beim Reiten.
Das Herz von allem aber war und blieb das von unserer ersten Begegnung an währende Wahrnehmen seiner Person.
 
 
An was ich glaube
 
Dieses weiße Pferd steht für mich stellvertretend für alle Pferde (für alle Wesen), wenngleich vielleicht auffälliger in der Ausprägung als manches andere:
 
Pferde sind entscheidungsfähige und verständige Wesen. Eine respektvolle und erfolgreiche Zusammenarbeit gründet, wie vergleichsweise zwischen Menschen mit unterschiedlicher Muttersprache, auf dem verständigen und aufmerksamen Dialog ohne Worte, dem aufmerksamen Wahrnehmen, dem Verstehenwollen und Raumgeben, dem um Vertrauen und Verständlichkeit bemühten gegenseitigen Informieren und Anleiten.

Seit ich diesem Pferd begegnet bin, ist es mir vor allem wichtig, ein vertrauenswürdiger Ansprechpartner zu sein. Ich begegne den Pferden anders und sie mir. Sie versuchen, mir ihre Nöte, Bedürfnisse und Wünsche klarzumachen.
Und ich versuche zu verstehen und darauf einzugehen.

Egal ob beim Zusammenarbeiten oder in ihrem Lebensraum, ob bei unserer Zusammenarbeit am Boden oder beim Reiten.


Beim Reiten?

 

Mit diesem Bewusstsein und diesem Dialog miteinander wird auch das Reiten zu einer ganz anderen Nummer. Überhaupt jede Zusammenarbeit. Man ist nun zu zweit und spricht sich miteinander ab.

Es ist eine dauernde Absprache auf gelöste balancierte Bewegung und Körperhaltung, auf die konstruktive kreative Umsetzung von Ideen und das Lösen von (Gelände-) Herausforderungen.


Ein Beherrschen des anderen oder ein Herumreiten auf dem anderen? Wie wäre es, wenn ich mich einfach auf einen Menschen setzen und ihm befehlen würde, er solle jetzt mal nach meiner Pfeife laufen? Was wäre die Reaktion? Und will ich das wirklich?


Absprache und Einverständnis, - damit kann man Pferde für sehr viel gewinnen. So kann auch das Reiten zu einem bereichernden wahrnehmenden Körpererleben für das Pferd werden. In dieser Absprache stimmt man sich ja ganz genau miteinander ab, - auf jede Bewegung und die dafür optimale Körperhaltung. So wie zwei Akrobaten, die sich mit und übereinander organisieren. Für Balance, Gelöstheit, Vertrauen und Selbstvertrauen.


Ein Tanz mit dem Pferd.

 


  

 

 

 

 

 

Kontakt

 

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